Presseberichte

Treffpunkt Evangelisches Bauernwerk

Hohebucher Wochenende – Artenvielfalt agrarwirtschaftlich produzieren?

Den Auftakt zum Hohebucher Wochenende Mitte April machte der Vortragsnachmittag zum Thema Artenvielfalt in der Agrarlandschaft. Rund 70 Interessierte folgten der Einladung des Evangelischen Bauernwerks in die Ländliche Heimvolkshochschule Hohebuch.

In seiner Begrüßung sagt Wilfried Häfele, Geschäftsführer des Evang. Bauernwerks, dass es schön sei, wenn sich Bürger um die Artenvielfalt sorgen und engagieren, allerdings werde es schwierig, wenn dabei allein die Landwirte als Verursacher ausgemacht werden. Die, die seit Generationen nachhaltig arbeiten und wirtschaften rücken in den öffentlichen Fokus, weil sie öffentlich mit Boden und Pflanzen arbeiten. Es gilt, so Häfele, gemeinsame Lösungsansätze zu finden. Es geht darum, für das menschliche Handeln einen Weg zu finden, so dass die Natur nur wenig beeinflusst wird.

Referent Werner Kuhn ist Meister für Landwirtschaft und Garten- und Landschaftsbau. Seit Jahrzehnten macht er an der Landesanstalt für Wein- und Gartenbau in Bayern und auf dem eigenen Ackerbaubetrieb Artenvielfalt erlebbar. Er kämpft für das landwirtschaftliche Produktionsziel Artenvielfalt. Zu Beginn seines 2,5-stündigen, fesselnden Vortrags spricht Kuhn davon, dass Kulturlandschaft oft mit Naturlandschaft verwechselt wird. Unberührte Natur gibt es nicht. Wäre die Landwirtschaft nicht so weit entwickelt, wäre unsere Landschaft Buchenwald. Auch Rebhuhn, Feldhase und -hamster sind zugewanderte Arten. Vielfalt in der Landschaft und damit einhergehende Artenvielfalt entstanden „nebenbei“ durch verschiedene Arbeits- und Anbauweisen, mit dem Ziel Hunger zu bekämpfen, in der Nachkriegszeit. Inzwischen hat sich die Nutzung der Landwirtschaft geändert. Kuhn sieht die Landwirtschaft aber nicht weiter als in den Nachkriegsjahren, denn heute reichen 200 ha Ackerbau nicht aus, um eine Familie zu ernähren. „Im Prinzip war die Landwirtschaft zu fleißig“, sagt Kuhn und bemängelt, dass Wissen und Verstehen der Kulturlandschaft weit weg sind von der Gesellschaft. Er spricht von „Psychotopen“, in denen Landschaft nur als großer Freizeitpark, als Kulisse, dient. Dabei sollte Landschaft mit allen Sinnen richtig wahrgenommen werden. Wer nutzt den gegenwärtigen „Blühflächentsunami“ wirklich? An der Landesanstalt suchte Kuhn nach neuen Wegen, Artenvielfalt zu steigern und führte dazu mehrere Forschungsprojekte durch, von denen er seine Erkenntnisse ableitet: Einjährige Blühmischungen seien zwar nett für Honigbiene, Hummel und Schmetterling, stoppen aber nicht den Artenrückgang. So auch Flächenstilllegungen, Greening und Renaturierungsflächen. Letzteres beschreibt er als „unnatürlich heile Welt schaffen wollen“ durch einebnen, einsäen und begrünen und dabei extrem trockenen Lebensraum, wie ihn z.B. Erdwespen brauchen, verloren gehen lassen. Nicht unkommentiert lässt Kuhn die „Krefelder-Studie“ zum Insektensterben. Das Umfeld des Naturschutzgebietes hat sich während des Messzeitraums verändert. Es wurde extensiver genutzt. Demzufolge wurden an der Messstelle 75% weniger flugaktive Insekten gefangen. Die Biomasse war zwar weniger, aber die Artenvielfalt ist gleich geblieben. Kuhn betrachtet auch Bewegungen, die zum Schützen, Bewahren und Retten einzelner Arten aufrufen, für bedenklich, denn so wird die Kulturlandschaft aus dem Gleichgewicht gebracht. „Natur kennt keine Probleme, nur Lösungen.“ Weiter spricht Kuhn von der „Sagrotanlandschaft“, in der alles sauber aussehen muss, Acker- und Wegränder gemulcht sind, kein Platz für Brennesselecken und Schwalbennester am Haus ist und Ställe steril sein müssen. Er bemängelt, dass sich jeder für Artenvielfalt ausspricht, dies aber endet, wenn die eigene Komfortzone betroffen ist. Er sieht die Politik in der Pflicht. Denn wer bürokratiekonform Landwirtschaft betreibt, hat keinen Platz für Artenvielfalt. Für die Landwirtschaft spricht sich Kuhn für freiwillige Maßnahmen aus, denn Zwangsvorgaben (z.B. Mulchpflicht; eine Saatgutmischung im ganzen Land) hemmen die Vielfalt. Je mehr Möglichkeiten, desto größer die Vielfalt an Lebensräumen, desto höher die Artenvielfalt. Der Landwirtschaftsmeister fordert ökologische Optimierung und Artenschutz als Produktionsziel. Als ökologische Optimierung beschreibt er mehrjährige Blühmischungen (die bei einjährigen Flächen im Vorjahr ausgesät werden), die nicht auf Streifen (ideales Buffet für den Fuchs), sondern auf eine Fläche von mindestens 10m x 15m gesät werden. Integriert wird mittels gegrubberter Streifen der Schutz für Offenlandarten, die so eine geschützte Möglichkeit zum Sonnen haben. Anstatt sofortiger Stoppelbearbeitung empfiehlt er Stoppelstreifen stehen zu lassen als Überlebensraum z.B. für Rebhühner. Zudem fordert er Gemeinden und Landwirte auf, gemeinsame Mulchkonzepte zu entwickeln. All dies setzt er auf seinen eigenen Flächen um. Kuhn hat viel ausprobiert und weiterentwickelt. Als Alternative zu Mais gewinnt er zum Beispiel Energie aus mehrjährigen Wildpflanzenmischungen, die das Jahr über Lebensraum für Vögel und Insekten bieten, und produziert damit Artenvielfalt auf seinen eigenen Flächen. Kuhn ist überzeugt, dass mit passenden politischen Rahmenbedingungen und politischer Steuerung, sich viele Kollegen anschließen würden. Er fragt, was der Gesellschaft Feldlerche und Goldammer wert sind, und schlägt eine „Lerchen-Produktions-Vergütung“ in der zweiten Säule der Agrarförderung vor. Seine Erkenntnisse und Erfahrungen hat Kuhn bereits vielen Politikern vorgestellt, alle waren begeistert, aber niemand hat etwas verändert. Kuhn wird nicht müde, sich weiterhin für produzierte Artenvielfalt in der Landwirtschaft einzusetzen, denn er will sich als Landwirt nicht nachsagen lassen, dass er gegen Artenvielfalt arbeiten würde. Landwirtschaft kann unterstützen.

Beim Empfang am Abend, zu dem Kooperationspartner, landwirtschaftliche Verbände, Vertreter der Kirche und Mitglieder geladen waren, ging es um Artenschutz aus Sicht der europäischen Agrarpolitik. Der „Hot Club de Michelbach“ umrahmte den Abend musikalisch. Bernd Kraft, Vorsitzender des Evang. Bauernwerks, beschreibt in seiner Einführung die gesellschaftlichen Anforderungen und Forderungen, die in gesetzliche Rahmenbedingungen fließen, als für Landwirtsfamilien belastend. Er sieht die Aufgabe des Evang. Bauernwerks darin, diese Strömungen aufzunehmen und mitzugestalten. Anstatt die gesellschaftliche Diskussion als Bedrohung zu sehen und in die Defensive zu gehen, sollten sich Bauernfamilien fragen, was sie beitragen können – mit innerer Bereitschaft zur Veränderung. Kraft bemerkt, dass der Ärger über Unverständnis in der Gesellschaft zu Resignation führen kann und diese Stimmung Auswirkung auf Strukturwandel und Hofnachfolge hat. Er möchte Menschen in der Landwirtschaft darin stärken, sich auf Diskussion und Auseinandersetzung einzulassen. Er möchte Mut machen, positiv gestimmt den Dialog zu suchen. Das Evang. Bauernwerk wird die bäuerlichen Anliegen in die christliche Kirche einbringen.

Dem fügte Evelyne Gebhardt, MdEP, hinzu, dass Landwirte die wichtigste Bevölkerungsgruppe in der Gesellschaft sind, denn sie produzieren Lebensmittel. Sie will die Landwirte ermutigen und streut Optimismus. In Bezug auf Europapolitik verweist sie auf das darin verankerte Vorsorgeprinzip, nach dem nichts gemacht werden kann, ohne an die Folgen zu denken. In der EU-Agrarförderung hält sie eine Umgestaltung für notwendig, da bisher große Betriebe unterstützt und kleine Betriebe teilweise benachteiligt werden. Ebenso fordert sie Landschaftspflegemaßnahmen mehr zu fördern. Die Lebensfähigkeit in der Landwirtschaft muss unterstützt, sowie die Vielfalt an Kulturen in Landwirtschaft und Landschaft gehalten werden. Die Abhängigkeit von großen Konzernen schränkt Vielfalt ein, deshalb ruft sie zu Vorsicht bei Saatgutrechten auf. Sie spricht sich für einen EU-Naturschutzfond aus und betont, dass Agrarpolitik nicht zur Vernichtung der Landwirtschaft (auch außerhalb der EU) führen darf. Weiter ist es ihr ein Anliegen, die Wichtigkeit der Demokratie hervorzuheben. „Gehen Sie zur EU-Wahl und überlassen das Feld nicht den Populisten“, appelliert sie abschließend an die moralische Wahlpflicht jedes einzelnen.

Am Sonntagmorgen gestaltete Kirchenrat Dr. Frank Zeeb den Gottesdienst. Anschließend tauschten sich die Mitglieder des Bauernwerks aus und die neue Bildungsreferentin der Ländlichen Heimvolkshochschule, Anne Grambow, stellte sich vor.

Melanie Burkhardt