Presseberichte

Öhringen

Veranstaltungsbericht – BAK Öhringen

Hohenlohische Wurst- und Fleischwaren

Am Mittwochabend referierte Karl-Heinz Wüstner auf Einladung des Bezirksarbeitskreises Öhringen des Evang. Bauernwerks im Evang. Gemeindehaus in Kupferzell. Er widmet sich seit Jahrzehnten ehrenamtlich der historischen Erforschung seiner hohenlohischen Heimat und ergründet unter anderem die hohenlohischen Emigranten im 19. Jahrhundert, die in England durch das Metzgergewerbe zu Wohlstand kamen.

Ein Drittel der Veranstaltungsteilnehmer hob die Hand auf die Frage, wer nach England ausgewanderte Verwandtschaft hat. Auf die Frage, wer Auswanderer kennt, die zu uns gekommen sind, meldete sich der ganze Saal. Wüstner zeigt in seinem Vortrag stets die Parallelen zwischen den Verhältnissen im 19. Jahrhundert und heute auf. Auswanderung ist ein zeitloses Thema, das nie an Aktualität verlieren wird. Als aktuelles Beispiel nennt er Nordsyrien. Aber wer seine Heimat verlässt, hat triftige Gründe, so Wüstner. Niemand geht gerne als „Fremdling“ in ein neues Land, in dem man die Sprache nicht versteht. Aber Armut und Aussichtslosigkeit daheim trieben die Hohenloher im 19. Jahrhundert zur Flucht. Sie waren Wirtschaftsflüchtlinge. Gründe, die die Perspektivlosigkeit begründeten, waren Versorgungsengpässe und Hungersnöte in Folge des „Jahrs ohne Sommer“ 1816 und der Ausbreitung der Kartoffelfäule 1845. Aufgrund des Bevölkerungswachstums kam es auch 1870 zu Versorgungsschwierigkeiten. Weitere Gründe waren, dass in Hohenlohe jeweils nur ein Kind den elterlichen Wohnsitz erbte und die Geschwister oft mittellos blieben. Und schließlich trieb der drohende Einzug ins Militär 1871 viele Jugendliche in die Fremde.

Karl-Heinz Wüstner hat selbst auch ausgewanderte Verwandte. Der pensionierte Realschullehrer, der für sein Engagement schon mehrfach ausgezeichnet wurde, erklärte unter anderem, dass auf einem Ausreiseausweis von damals – anstelle eines biometrischen Bildes heute – Merkmale, wie gerade Beine, ovale Gesichtsform und gesunde Gesichtsfarbe, erfasst waren.

England war aus Ausreiseland sehr attraktiv, einmal wegen der guten wirtschaftlichen Lage, der liberalen Gesellschaftsstruktur und des freizügigen politischen Systems. Beispielsweise konnte jeder in England ein Gewerbe eröffnen, unabhängig von Ausbildung und Meistertitel. Dies sowie die boomende Industrialisierung stärkte die Chance, zum Geschäftsmann aufzusteigen.

In den industrialisierten Städten arbeiteten Männer und Frauen, die einmal aufgrund der beengten Verhältnisse keine eigenen Schweine halten konnten, zum anderen keine Zeit zum Kochen hatten oder das Kochen nicht gelernt hatten. Dazu kam das „bescheidene kulinarische Niveau“ in England. Die hohenlohischen Metzger versorgten die englische Arbeiterklasse mit Köstlichkeiten. Ein deutscher Name über dem Geschäft stand für Genuss. Die ersten take-away-Läden entstanden, in denen komplette Mahlzeiten fertig zubereitet zum Mitnehmen gekauft werden konnten. Die Hohenloher lockten ihre Kunden mit prachtvoll dekorierten Schaufenstern, die Fleisch-Kunstwerken glichen, und Röstgerüchen, die sie in die Geschäftsgasse leiteten. Gute Qualität an Würsten, gekochten Innereien, gekochtem Fleisch, Schinken, Pasteten und Sülzen ließ das Metzgergewerbe florieren. Das gesamte Schwein wurde verwertet, bis auf die letzte Sehne wurde alles zu Geld gemacht. Die Erfolgsgeschichten lockten Mitte des 19. Jahrhunderts immer mehr Hohenloher zu ihren Bekannten und Verwandten nach England. Bauernsöhne erlernten über die Wintermonate zu Hause in Metzgereien das Handwerk, halfen in England dann eine Zeit lang bei einem Landsmann mit und machten sich schließlich selbstständig. Auch die Bauerntöchter wurden in England gerne eingestellt. Sie wurden in der Verarbeitung, im Verkauf oder als Kindermädchen eingesetzt. Oft heirateten sie dann einen Hohenloher in England. Ab 1870 wurden verstärkt Jungen direkt nach der Konfirmation in die Fremde geschickt, um dem Einzug ins Militär zu entgehen. Die großen familiären Netzwerke funktionierten gut und waren länderübergreifend. Wüstner ergänzt, dass man sich in einem fremden Land erst heimisch fühlt, wenn viele Landsleute dabei sind. Das gilt auch heute noch. Die hohenlohischen Metzger blieben damals unter sich.

Über 100 Jahre waren sie erfolgreiche Geschäftsleute. Aber mit dem Ausbruch des ersten Weltkrieges wurden die Metzger über Nacht zu Feinden. Deutsche Geschäfte wurden zerstört und geplündert und es kam zu gewalttätigen Angriffen. Die Politik griff ein und steckte die hohenlohischen Männer in Internierungslager. Frauen und Kinder wurden ausgewiesen. Aber auch zu Hause waren sie die Fremden, schließlich lebten sie seit mehreren Generationen in England. Nur wer schon die britische Staatsbürgerschaft hatte, durfte unter Auflagen bleiben. Nach dem Krieg war nur noch ein Drittel der Metzgereien übrig, die fortan ihre Deutschstämmigkeit verbargen.

Wüstners Forschungen laufen in einer Datenbank zusammen. 2.500 Namen von hohenlohischen Metzgern sind in der DBSIG-Datenbank online einsehbar.

Melanie Burkhardt