Presseberichte

Landesbauernpfarramt

Predigt zu Mk 8,1-9 (Die Speisung der 4000) – Hohebucher Erntedank 2020

Liebe Festgemeinde,
der Predigttext auf das Erntedankfest ist die Speisung der 4000 aus dem 8. Kapitel des Mk-Evangeliums:
1 Zu der Zeit, als wieder eine große Menge da war und sie nichts zu essen hatten, rief Jesus die Jünger zu sich und sprach zu ihnen: 2 Mich jammert das Volk, denn sie harren nun schon drei Tage bei mir aus und haben nichts zu essen. 3 Und wenn ich sie hungrig heimgehen ließe, würden sie auf dem Wege verschmachten; denn einige sind von ferne gekommen. 4 Seine Jünger antworteten ihm: Woher nehmen wir Brot hier in der Einöde, dass wir sie sättigen? 5 Und er fragte sie: Wie viele Brote habt ihr? Sie sprachen: Sieben. 6 Und er gebot dem Volk, sich auf die Erde zu lagern. Und er nahm die sieben Brote, dankte, brach sie und gab sie seinen Jüngern, dass sie sie austeilten, und sie teilten sie unter das Volk aus. 7 Sie hatten auch einige Fische; und er sprach den Segen darüber und ließ auch diese austeilen. 8 Und sie aßen und wurden satt. Und sie sammelten die übrigen Brocken auf, sieben Körbe voll. 9 Es waren aber etwa viertausend; und er ließ sie gehen.

4000 Menschen haben sich bei Jesus eingefunden, schon 3 Tage lang. Ich habe versucht, mir die Zahl vorzustellen. Meine Nachfrage im Tagungsstättenbüro in Hohebuch hat ergeben: 2019 hatten wir in Hohebuch mehr als 4000 Zimmerbelegungen. Das war vor Corona. Stellen Sie sich vor, diese 4000 Menschen ohne Corona-Abstand und ohne Verpflegung durch die Küche, nur mit dem eigenen Proviant.

Jesus tut die Menge leid – „es jammert ihn“ – 3 Tage waren sie jetzt schon da, was haben sie wohl bei ihm gesucht? Vieles hat man sich über Jesus erzählt. Kranke soll er geheilt haben. Menschen am Rand der Gesellschaft begegnete er freundlich. Vom Reich Gottes sprach er in Gleichnissen, die jede und jeder verstehen konnte. Ein Hauch von messianischer Stimmung hing in der Luft. War er es, der von Gott verheißene Messias? Würde das Reich Gottes jetzt Wirklichkeit werden in der Welt? Jetzt wollen sie Jesus selber kennenlernen, nachdem man schon so viel von ihm gehört hatte. Sie wollen ihn mit eigenen Ohren hören und selber erleben, womöglich Zeugen eines Wunders werden. Zuspruch erwarten sie von Jesus und neue Lebensperspektiven.

Doch nach 3 Tagen sind die Leute erschöpft und der Magen hängt ihnen bis in die Kniekehle. Jesus merkt das. „Es jammert ihn“. Deshalb eine kurze Lagebesprechung mit den Jüngern: „Was habt ihr?“ – 7 Brote – nicht genug zum Leben und nicht genug zum Sterben, könnte man meinen. Ein paar Fische gibt es dann auch noch. Dann das Unglaubliche: Jesus dankt für die Gaben, bricht das Brot, lässt alles austeilen – und es reicht! Mehr als genug ist da, 7 Körbe bleiben übrig.

Dass alle satt werden, ist ein Verteilungsproblem, habe ich vergangene Woche bei einer Veranstaltung in Hohebuch wieder neu gehört. Es kommt auf das richtige Verteilen an – damals wie heute. Diesen Aspekt möchte ich jetzt nicht weiter vertiefen. Ich möchte ihn einfach so stehen lassen.

Etwas anderes ist mir beim Nachdenken über diesen Text wichtig geworden:
Zum einen stellt Jesus fest, dass die Leute etwas brauchen. Das berührt ihn ganz tief im Inneren. Es „jammert“ ihn.
Und dann, meine zweite Beobachtung. Sie hängt mit dem zusammen, dass Jesus merkt, was die Leute brauchen. Irgendwie muss man diesen Mangel an Essen beheben. In diesem Zusammenhang fragt Jesus nach dem, was noch da ist. „Wie viele Brote habt ihr?“ Neudeutsch könnte man auch sagen: Welche Ressourcen gibt es?
Ausgehend von diesen beiden Beobachtungen möchte ich heute zwei Fragen stellen:
Zum einen: Was brauchen Landwirte? Und zum anderen: Was können Landwirte geben?

Was brauchen Landwirte und Landwirtinnen – in einer Welt des globalen Marktes mit seinen marktwirtschaftlichen Herausforderungen?
Was brauchen Landwirte und Landwirtinnen in dieser Welt des sich rasant verändernden Klimas?
Was brauchen Landwirte und Landwirtinnen, die sich so vielen gesellschaftlichen Anfragen gegenüber sehen – nur ein paar Stichworte: Biodiversität, Pflanzenschutz, Gewässerschutz, Tierwohl – und meist verbunden mit dem vorwurfsvollen Unterton, sie würden zu wenig machen?
Was brauchen Landwirte und Landwirtinnen zwischen Ökologie und Ökonomie?

Ich habe Landwirte und Landwirtinnen befragt, was sie brauchen. Ahnen Sie, was als erstes und Wichtigstes genannt wurde? Nein, nicht die Klage über die gesetzlichen Vorgaben, die manches Mal so schwer umzusetzen sind, wurde genannt. Zuallererst wünschen sich Landwirte und Landwirtinnen Respekt für sich und ihre Arbeit. Sie brauchen von der Gesellschaft die Anerkennung, dass sie ihren Beruf aus Liebe zu Natur und Tieren ausüben. Sie möchten Wertschätzung für ihren Berufsstand, der zum Wohl der Gesellschaft Lebensmittel produziert und die Landschaft pflegt, in der sich alle erholen. Und sie wünschen sich ein Dankeschön für ihre Arbeit um das Gemeinwohl. Ist das zu viel verlangt? Wollen die Landwirte hofiert werden? Nein, sie haben so wie jeder Mensch ein Bedürfnis nach Würde und Respekt. Die Würde des Menschen ist unantastbar, damit fängt unser Grundgesetz an. Es gilt auch für Landwirte und Landwirtinnen.

Dass jeder Mensch eine eigene Würde hat, ist ein grundlegender biblischer Aspekt. Jesus zeigt, wie es geht: Er nimmt die Menschen in ihren Bedürfnissen wahr – mit ihrem Wunsch nach innerer und äußerer Stärkung. Bei ihm gibt es beides – Heil für Seele und Leib. Oder mit einem Bild aus dem AT ausgedrückt. Jeder Mensch ist von Gott als Bild Gottes geschaffen – zunächst ein Ausdruck von bedingungsloser Würde und Wertschätzung. Aber damit verbunden: Als Bild Gottes hat der Mensch eine Aufgabe in der Welt, die er in Verantwortung vor Gott und in Verantwortung der Welt gegenüber ausführen soll. Die Aufgabe von Landwirtinnen und Landwirten ist groß. In besonderer Weise kümmern sie sich um Natur und Tiere – zwischen Ökologie und Ökonomie. Dafür verdienen sie Respekt, Anerkennung, Wertschätzung und ein Dankeschön!
Der Punkt mit den politischen Vorgaben wurde natürlich auch genannt. Die heutige Landwirtschaft hat nichts mit der romantischen Welt von Bullerbü zu tun. Gesetzliche Vorgaben für die Landwirtschaft werden akzeptiert, wenn sie einsichtig sind. Und deshalb – so habe ich es gehört – würde sich die Landwirtschaft Bestimmungen wünschen, die nicht an der Praxis vorbeigehen und regionale Unterschiede berücksichtigen.
Die Landwirtschaft leidet unter Vorurteilen und Vorverurteilungen durch die Gesellschaft. Deshalb brauchen Landwirte und Landwirtinnen keine besserwisserischen Ökos, sondern Menschen, die nachfragen und zuhören und wo deshalb ein echter Dialog stattfinden kann. Nur im Miteinander kann die Zukunft gestaltet werden.
So habe ich die Bedürfnisse der Landwirtinnen und Landwirte in meinen ersten Gesprächen wahrgenommen. Diese Antworten habe ich gefunden auf meine anfangs gestellt Frage: Was brauchen Landwirte und Landwirtinnen?

Vorhin habe ich das biblische Bild vom Menschen als Bild Gottes erwähnt. Als Bild Gottes hat der Mensch eine Würde und eine Aufgabe. Mit der Aufgabe hängt meine zweite, anfangs gestellte Frage zusammen:
Was können Landwirte und Landwirtinnen geben?
Corona hat gezeigt, die Landwirtschaft ist systemrelevant. Auch als die Grenzen geschlossen waren, gab es keine Versorgungsengpässe. Die Landwirtschaft produziert Lebensmittel, Mittel zum Leben. Die Landwirtschaft ist damit für die Gesellschaft existenziell wichtig.
Auch leistet die Landwirtschaft einen wesentlichen Beitrag zur Landschaftspflege. Corona hat es noch einmal deutlich vor Augen geführt: Die Natur vor Ort ist für alle Menschen wichtig, sie dient zum Beispiel der Erholung und der Gesundheit – Stichwort: Waldbaden. Dass das so ist und so bleiben kann, liegt mit an der Arbeit der Landwirtschaft. Deshalb ist es ein wichtiges Signal der Politik, wenn es Zuschüsse für Landwirte und Landwirtinnen gibt, die sich der Arbeit der Landschaftspflege verschrieben haben. Mit Streuobstwiesen oder der Schäferei auf der Alb kann man kein Geld erwirtschaften. Deshalb ist es gut, dass es für diese Arbeit Zuschüsse gibt, um damit Landschaft und Artenvielfalt zu erhalten.
Landwirte und Landwirtinnen können auch ein Beispiel sein für selbstbestimmtes Leben. Ein Landwirt hat es letzte Woche so ausgedrückt: „Ich bin immer noch gern Landwirt, weil ich Freude an der Natur und an Tieren habe, weil ich abends sehe, was ich gemacht habe, weil ich gern mein eigener Chef bin und weil ich Arbeit und Familie gut verbinden kann und noch Zeit für meine Kinder habe.“ Neudeutsch würde man von gelungener Work-Life-Balance sprechen. Arbeit und Leben im Gleichgewicht, vielleicht kann man da von Landwirten und Landwirtinnen lernen?

Ich finde, dass es viel und Wichtiges ist, was Landwirte und Landwirtinnen der Gesellschaft geben. Vor kurzem bin ich noch einem Punkt des Gebens begegnet. Auf meinem Heimweg habe ich das Schild „Lass mich nicht hängen!“ gesehen. Sie finden ein Foto davon auf dem Liedblatt. Mit Schildern wie „Lass mich nicht hängen!“ oder „Pflück mich!“ laden Baumbesitzer ein, sich zu bedienen. In diesem Fall ist es Streuobst der Stadt Schwäbisch Hall, das zum Selberpflücken freigegeben ist.
Mir gefällt dieser Spruch in seiner Doppeldeutigkeit. Er spricht die zwei Aspekte an: das Geben und das Nehmen. Die Bitte, schau mich an, ich bin wertvoll für dich. Und die Aufforderung, tu was, hilf mit, wir brauchen einander.
Landwirten, denen ich das Bild gezeigt habe, haben mich auf einen wichtigen Punkt aufmerksam gemacht. Landwirte können das, was sie produzieren, nicht einfach verschenken. Die Landwirtschaft muss von ihren Produkten leben können. Der Preis für ein Produkt ist auch ein Zeichen für Wertschätzung.
Aber auf der anderen Seite drückt dieses „Lass mich nicht hängen!“ genau das aus, was Menschen aus der Landwirtschaft brauchen. Sie möchten wahrgenommen werden mit ihrem Beitrag für Gesellschaft und Natur. Das ist das Geben. Und sie brauchen unsere Unterstützung. Denn weder sind sie allein verantwortlich für den Klimawandel noch können sie allein die Welt retten. Deshalb ist das Miteinander wichtig. Es ist ein Geben und Nehmen von beiden Seiten aus – seitens der Landwirtschaft und seitens der Gesellschaft, der Politik und der Kirche.
Genau wie alle anderen Menschen auch brauchen Landwirte und Landwirtinnen Zuspruch und tatkräftige Unterstützung – einmal mehr das eine, einmal mehr das andere und meist beides zusammen.
Die Geschichte von der Speisung der 4000 zeigt es ganz ähnlich: Zuerst ist das Hören, das Nachdenken, das Auftanken für die Seele dran. Aber dann braucht es die leibliche Stärkung, das gemeinsame Essen und das Zusammensein. Es geht nicht, jemanden hungrig auf den Heimweg zu schicken. Stärkung für Seele und Leib – wie in Hohebuch.
Amen.

Sabine Bullinger