Presseberichte

Stadt-Land-Partnerschaft

Flächenverbrauch stoppen, innerörtliche Baulücken nutzen

Weniger Flächenverbrauch trotz Bauhunger – so lautete das Thema der Herbsttagung der Stadt-Land-Partnerschaft im Evangelischen Bauernwerk. Referentin am Vormittag war Dr. Tine Köhler, Professorin im Studiengang Geomatik an der Frankfurt University of Applied Sciences.

Baden Württemberg liegt im Flächenverbrauch für Siedlung und Verkehr ziemlich an der Spitze mit täglich ca. 5 ha – und ist damit vom Ziel Null ha Flächenverbrauch weit entfernt. Neben Neubauwohngebieten wachsen auf der grünen Wiese immer mehr großflächige Gewerbegebiete, als Beispiel nannte Köhler den Gewerbepark Hohenlohe, direkt vor der Haustüre. Wenn Gewerbegebiete entstehen, muss gleichzeitig in Verkehrsinfrastruktur investiert werden, so die Professorin. Doch für die Gemeinden sind sie attraktiv und bieten Arbeitsplätze. In der Landwirtschaft werden ebenso immer größere Gebäude notwendig, auch zum Wohl der Tiere. Als Donut-Effekt beschrieb Frau Köhler ein Phänomen, das den Flächenfraß in den vergangenen Jahren gefördert hat: In vielen Kommunen werden neue Baugebiete an den Ortsrändern ausgewiesen, was einen Leerstand und Verfall in den Ortskernen nach sich zieht. Sie stellte fest, dass mehr Neubaugebiete wenig Bevölkerungszuwachs in die Gemeinden bringen und manche Dörfer, vor allem in der Nähe von Ballungsräumen, reine Schlafdörfer sind, in denen Städter oft nur am Wochenende wohnen und sich nicht ins Dorfleben integrieren.

Verbaute Flächen gehen zu Lasten der Artenvielfalt und verringern die landwirtschaftliche Nutzfläche, die der Nahrungsmittelproduktion dient, was auch die Flächenkonkurrenz unter den Landwirten verschärft. Ebenso gehen Ausgleichsflächen für Bebauung in den Städten zu Lasten der Landwirtschaft.

Neue Ideen sind gefragt. Die Wissenschaftlerin plädierte für die Mehrfachnutzung im Sinne einer Kreislaufwirtschaft, Brachflächen sollten genutzt werden und Leerstände in den Dörfern eine Nutzung erfahren. Positiv erwähnte sie das MELAP-Förderprogramm in Baden-Württemberg, das die Sanierung alter und leerstehender Gebäude in den Ortskernen finanziell unterstützt. Sie nannte zwei Modelle: Illingen im Saarland: „Alte Häuser für Familien“, das Renovierung und Umbau fördert, und das Wallmeroder Modell aus Rheinland-Pfalz, wo der Abriss und die Bebauung alter Bausubstanz ebenso im Mittelpunkt stehen. Modelle, die der Verödung von Ortskernen entgegenwirken. Als Beispiel einer Mehrfachnutzung nannte sie auch die Errichtung von Wohnungen über einem Flachbau-Supermarkt oder die Überbauung von Straßen. Sie stellte die Vorteile für eine nachhaltige Aufwertung eines ehemaligen Bauernhofs bei Weikersheim vor, dem ihre Kollegin, Prof. Dr. Klärle, erfolgreich ein energieeffizientes und multifunktionales Konzept verpasst hat.

Gottfried May-Stürmer, Regionalgeschäftsführer des BUND Heilbronn-Franken und Referent für Wasser und Landwirtschaft bestätigte und vertiefte in seinem Vortrag viele Punkte vom Vormittag.

Er nannte als Negativ-Beispiel für Flächenverbrauch den Bau des riesigen Bosch Entwicklungsstandortes Abstatt. Auf der grünen Wiese wurden hier viele flache Gebäude errichtet und durch einen riesigen Parkplatz ebenfalls viel Freifläche verbaut. Gründe für diese Bauart sind rein monetär. Fläche ist im ländlichen Raum relativ günstig zu bekommen und ein großer Parkplatz wesentlich günstiger als der Bau eines Parkhauses, so May-Stürmer. Auch sind ebenerdige Gebäude für Maschinen und Fahrzeuge leichter zugänglich. Ähnlich großzügig sind die Gemeinden oft mit der Ausweisung und Erschließung von Baugebieten für Wohnhäuser.

Die Verantwortlichen in Baden-Württemberg wollen diesem Problem entgegenwirken. So gibt es einen Erlass, der die Pflicht zur Plausibilitätsprüfung bei der Ausweisung von Baugebieten vorschreibt. Auch May-Stürmer erwähnte die Förderprogramme zur Umnutzung von leerstehenden Gebäuden in Ortskernen. Zu diesem Zweck werden teilweise Ortskern-Flurbereinigungen durchgeführt.

Um das Ziel zu erreichen, den Flächenverbrauch auf Null zu bringen, müssen viele Ansatzpunkt realisiert werden: der Vorrang von Innenflächen und Leerständen muss genauer geprüft und mehr Parkplätze durch Parkhäuser ersetzt werden. Der Schutz der Freiflächen muss strenger geregelt und eingehalten werden. Zur Gemeindefinanzierung schlägt er vor: anstatt Wachstum zu belohnen, sollte der sparsame Umgang mit der Fläche belohnt werden.

May-Stürmers Schlusswort: So wie man erkannt hat, dass man wirtschaften kann, ohne dauernden Mehrverbrauch an Energie und Wasser, muss man auch lernen, ohne weiteren Flächenverbrauch zu wirtschaften. Letztlich müssen wir auch lernen, Lebensqualität zu haben, ohne ständiges Wirtschaftswachstum.

Hansjörg Keyl