Presseberichte

Waiblingen

Der Bauer als Störfaktor

„Unsere Nahrung, unsere Landschaft oder ein Störfaktor?“ Eine Veranstaltung des evangelischen Bauernwerkes in Winnenden (BAK Waiblingen)

Bauern fühlen sich an den Rand gedrängt, von vielen missverstanden und oft genug verunglimpft. Die Landwirtschaft im Ballungsraum Rems-Murr war Thema eines Podiumsgesprächs des evangelischen Bauernwerkes in Winnenden-Birkmannsweiler. „Unsere Nahrung, unsere Landschaft oder ein

Störfaktor?“

Auf dem Podium diskutierten ein junger Landwirt, ein grüner Politiker, ein gestandener Kirchenmann sowie ein Journalist, der im evangelischen Gemeindehaus die öffentliche Meinung vertreten sollte, aber an dieser Stelle auch über den Abend berichtet. Die Landwirtschaft im Ballungsraum sei privilegiert, führte Melanie Läpple, Moderatorin und Bildungsreferentin beim Bauernwerk, in die Thematik ein. Mit Bus und Bahn sei man in einer halben Stunde in Stuttgart und mit ein paar Schritten in der Natur. Eine Idylle? Keine Spur, sagte Melanie Läpple. Denn es lauern zahlreiche Konflikte zwischen Landwirtschaft und der Bevölkerung: Wem gehört der Feldweg? Warum schüttet der Bauer übel riechende Gülle aufs Feld? Sie vermutete, dass auf dem Lande längst zwei Kulturen eher nebeneinander her- denn miteinander leben.

Willi Halder, der grüne Landtagsabgeordnete, sorgt sich, dass die Menschen immer weniger Beziehungen dazu haben, woher ihre Nahrung kommt. Die Verbraucherschaft sei gespalten: Der eine Teil will möglichst billige Lebensmittel, der andere, anspruchsvolle verlangt nach guter Qualität und die möglichst in Bio. Das gehe soweit, dass Biolebensmittel aus fernen Ländern importiert werden, statt dass die Kundschaft auf naheliegende regionale Produkte zurückgreift. Halder forderte die Landwirte auf, sich stärker zu öffnen und damit Verständnis und Vertrauen zu schaffen.

Timmo Hertneck, Dekan des Kirchenbezirks Waiblingen, wies einleitend auf die religiöse Bedeutung von Nahrung hin, die weit über die Sättigung des Magens hinausgehe. Tischgebete drückten diesen sozialen und geistigen Kontext aus, wenn es heiße „Vater, segne diese Speise …“ Hertneck pries die Kulturlandschaft zwischen Rems und Murr, die von Bauern geschaffen und geprägt wird. Für diese Vielfalt „kann man Gott nur danken“. Dennoch werde die Landwirtschaft immer häufiger auch als störend wahrgenommen. Zwischen der städtischen und der bäuerlichen Kultur liegen Welten, sagte er auf die Frage von Moderatorin Melanie Läpple. Die bäuerliche sei durch Jahres-, Wochen- und Tagesrhythmen und viel Erfahrungswissen geprägt. Die städtische hingegen durch Arbeitsteilung, die Trennung von Wohnen, Arbeiten und Freizeit. Eine Brücke könnten Direktvermarktung und Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaften schlagen, setzt der Kirchenmann auf mehr Miteinander.

Der Fortschritt macht vor der Landwirtschaft nicht halt Andreas Müller, der junge Landwirt vom Stiftsgrundhof bei Leutenbach, fühlt sich oft unter Druck gesetzt. Die Medien würden immer nur das Störende betonen. Die Landwirtschaft habe sich aber stark verändert in den vergangenen Jahrzehnten, sagte der Landwirtschaftsmeister. Er betreibt mit seinem Vater eine Schweinemast mit 170 Muttersauen und beliefert vorwiegend Metzger in der näheren Umgebung. So wie sich die Industrie dem Fortschritt verschrieben hat, so entwickelt sich auch die Landwirtschaft in Richtung Effizienz, größere Einheiten und höherer Output. „Die Gesellschaft kommt damit nicht klar“, vermutet Andreas Müller. In den Medien findet Landwirtschaft heute seltener statt als früher, sagte Martin Winterling, Redakteur beim Zeitungsverlag Waiblingen. Dies spiegele schlicht ihren gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedeutungsverlust wider. In den vergangenen drei Jahrzehnten, in denen er über Wirtschaft und damit auch die Landwirtschaft schreibt, sei die Zahl der Betriebe im Rems-Murr-Kreis von über 4000 auf heute 1200 gesunken. Bauern seien in der Öffentlichkeit weniger präsent; die Zeiten, als bei der jährlichen Kreisrundfahrt des Landwirtschaftsamtes viele Hunderte Bauern teilnahmen und beim Mittagessen von den Politiker hofiert wurden, seien längst vorbei. Dass eher über Lebensmittelskandale und Tierschutz berichtet werde als über den Alltag der Bauern, sei nicht zuletzt den Mechanismen im Medienbetrieb geschuldet. Immer nur zu jammern und das eigene Schicksal zu beklagen, sei keine Lösung. Um das Image aufzupolieren, könnten sich Landwirte ein Beispiel an den Wengertern nehmen. Die Hersteller von Massenware von einst haben sich in Erzeuger von Qualitätsprodukten gewandelt. „Wir scheitern an unserem eigenen Erfolg“, sagte Landwirt Andreas Müller über die Falle, in der konventionell wirtschaftende Bauern wie er stecken. Sie könnten zwar immer mehr und immer bessere Lebensmittel erzeugen, doch erhalten sie für ihre Arbeit keine Wertschätzung von Seiten der Kunden. Und auch nicht vom Markt, wie die aktuell niedrigen Preise für Schweinefleisch oder Milch zeigen. Direktvermarktung und Biolandwirtschaft seien allenfalls Nischen. Für ihn seien dies keine Alternativen. „Direktvermarktung muss einem auch liegen!“ Wenn Radler, Radler Radler Jogger und Reiter die Feldwege für sich beanspruchen. Dem stimmte Hermann Beutel, ein politisch engagierter Biolandwirt aus Schorndorf-Schornbach, aus vollem Herzen zu. Sein Nachbar verkaufe bereits ab Hof; wenn er damit begänne, gebe es einen Hofladen zu viel. Der CDU-Stadt- und Kreisrat Beutel kennt die Nutzungskonflikte und weiß, wie es ist, von den Nachbarn als Störfaktor wahrgenommen zu werden. Sei es, weil sein Traktor den Radlern, Joggern, Fußgängern und Reitern im Weg ist; sei es, wenn er anonyme Briefe erhält, weil er Gülle auf seine Felder ausbringt. Sein Appell an die Kollegen lautete: Zeigt euch mehr! Ein anderer Landwirt, der sich und seinen Betrieb selbst als „kleinen Krauter“ beschreibt, sieht eine zunehmende Entfremdung in der Gesellschaft. „Die Leute haben keinen Kontakt mehr.“ Was angesichts der geringen Bruttowertschöpfung der Landwirtschaft im Vergleich zur Industrie jedoch kein Wunder sei. Ein weiterer Landwirt räumte gegenüber dem Journalisten ein, dass die Landwirtschaft den Dialog mit Medien und Gesellschaft nicht suche. „Aber man wird auch nicht gehört!“ Ein Fragezeichen setzte der Bauer hinter die Allheilmittel Regionalität und Direktvermarktung. Was sei mit den Bauern aus anderen Regionen, die auch gute Produkte lieferten?, fragte er: Ihre ebenfalls gute Arbeit werde auf diese Weise doch abgewertet.

Martin Winterling